Midsommar

Ich bin ja bekennender Horror-Fan und stöbere drum immer in der Horrorabteilung von Prime. Aber: Achtung, das ist kein Fastfood-Horror. Was man hier findet, ist Verstörung und Groteske. Wer sich diesen Film anschaut, sollte wirklich psychisch gefestigt sein. Ein Alptraum. Selten wirkt ein Film bei mir mit einem solchen Unbehagen nach.

 

Anfangen tut er ja vorerst mal harmlos. Da sind ein paar junge Leute. StudentInnen. Eine von denen, Dani, hat kürzlich erst ihre Familie verloren, und das auf äußerst tragische Weise. Die Freunde planen eine Reise nach Schweden, um dort einer traditionellen Mittsommerfeier beizuwohnen und diese sozialwissenschaftlich zu betrachten. Es soll ein längerer Aufenthalt werden. Man freut sich auf diese Auszeit und auf das Kennenlernen einer alten Tradition. Für Dani ist es eine Gelegenheit, auf andere Gedanken zu kommen, neue Erfahrungen zu machen.

 

Sie fahren also hinein ins Licht, in die Wärme des Sommers, sie sind so herzlich willkommen bei ihren Gastgebern: Eine Community in traditionellen hellen Gewändern, mitten auf dem Land, zwischen Wiesen und Feldern. Ein bisschen hippiemäßig erscheinen sie, die Gastgeber, aber sie sind unkompliziert, freundlich, erfrischend geerdet. Die Freunde dürfen an dem mehrtägigen Ritual teilnehmen. Alles scheint der Sonne zugewandt. Sonnensymbole, Freude, Gruppenturnübungen im Sonnenschein! ? Überhaupt dominiert das Licht den ganzen Film. Er ist immer hell und freundlich. Und genau das ist so verstörend, wenn die Ereignisse ihren Lauf nehmen.

 

Anfangs erscheint das ganze Brimborium dort ja ein wenig lächerlich und übertrieben. Aber die Freunde respektieren es mit einem wissenschaftlich interessierten Habitus. Sie lassen sich auf die Geschehnisse ein. Und sie werden Zeugen einer, sagen wir mal, alternativen Interpretation des Lebenssinnes der Community. Auf das ist man als Zuschauer nicht gefasst. Das trifft einen wie ein Vorschlaghammer. Obwohl die Sonne doch scheint, obwohl das Fest etwas Positives zu feiern scheint, ist doch ein zunehmendes Unbehagen spürbar. Und das auf jene subtile Art und Weise, die einen dazu verleitet, dieses Unbehagen als Einbildung abzutun. Nur um dann festzustellen: Es kommt noch viel schlimmer, als man zu ahnen bereit war. Es gibt Auserwählte, um die das Fest kreist. Sie werden gefeiert, sie stehen im Mittelpunkt. An der großen Tafel auf den Wiesen stoßen die Auserwählten miteinander an, unter den Augen der ihnen zulächelnden anderen. Doch was genau hier eigentlich gefeiert wird, kann man noch nicht erahnen. Was man jedoch mit zunehmender Beklemmung wahrnimmt: Im Blick der Auserwählten ist nicht nur das Glück zu sehen, sondern da ist auch etwas anderes – etwas Abgründiges. Etwas Endgültiges.

 

Manche Szenen sind überlang und kommen in vollkommener Stille aus und erzeugen gerade dadurch eine unerträgliche Beklemmung. Die stimmungsvollen, ruhigen Klangwelten haben etwas meditatives. Das Verstörende ist: All das, was man hier miterleben darf, ist vorstellbar. Das ist absolut nicht abwegig. Menschen können andere Moralvorstellungen entwerfen, Menschen sind aufgrund ihrer Weltdeutung zu vielem fähig. Der Film könnte eine Art Doku sein. Es gibt einige wenige Szenen, die an Brachialität nicht zu überbieten sind. Aber es ist keine primitive, keine voyeuristische Gewalt. Sondern ein offenbar ganz selbstverständliches Geschehen, welches nur Außenstehende, Unwissende nicht verstehen. Der natürliche Lauf der Dinge…. Diese Bilder bekommt man so schnell nicht aus dem Kopf. Und sie sind so gut gemacht und zugleich unfassbar, dass man sie mittels Rückspulfunktion mehrmals anschauen muss.

 

Von mir eine klare Empfehlung! Midsommar gibt’s gerade gratis auf Prime! Nehmt euch die Zeit (über 2 Stunden!), lasst euch auf den Film ein. Das ist ganz großes abendfüllendes Kino, welches euch noch länger beschäftigen wird. Ich hatte danach Diskussionsbedarf. Diesen Film muss man richtig verdauen. Viel Spaß!

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